Archiv für die Kategorie 'Gruselgeschichten (nur Selbstgeschriebenes)'

Vorsicht vor Spiegeleiern

17. Januar 2011

Vorsicht vor Spiegeleiern!

In jüngerer Vergangenheit haben sich Trollübergriffe in der Nähe von Spiegeleier zugetragen. Wissenschaftler gehen davon aus, daß Spiegeleier, ähnlich wie Hand- oder Wand- oder Saucenspiegel, Tore zu anderen Dimensionen, Stuben oder Buden sein können. Weißt ein Spiegelei eine leicht grünliche Färbung auf, sollte man das Eigelb sofort zerrühren. Durch zerrührte Eigelbe kamen bisher nur harmlose albernkichernde Trollfragmente, diese lassen sich einfach und gefahrlos kompostieren.

Ob es einen Zusammenhang zwischen der Farbe des Huhnes von dem das Ei stammt und der Beschichtung und Beschaffenheit der Pfanne gibt, ist bisher noch nicht bekannt. Es empfiehlt sich allerdings, weiße Eier von braunen Hennen in teflonbeschichteten Pfannen zu braten.

Also liebe Leser, achtet auf Eure Spiegeleier

spiegeltroll

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Schattenlauf

13. November 2010

Schattenlauf

Mel rannte.

Ihr  linker Fuß war völlig durchnässt, der Stiefel suppte so langsam durch, die langen Haare waren verklebt und strähnig, und die Jacke schien dort, wo sie auf der Haut auflag, ein Loch in ihren Rücken zu brennen, nein, vier Löcher, vier lange Striemen. Etwas triefte von ihrem Haaransatz in ihre Augen und tränkte ihr Halstuch. Sie maß all dem keine Bedeutung bei, nahm es sowieso nur am Rand ihres Bewusstseins wahr. Die Sohlen aus vulkanisiertem Gummi klatschten ein irrsinniges, nasses Stakkato die menschenleere Straße entlang; Wasser spritzte hoch und vermischte sich mit dem Regen, der herabstürzte, als hätte er  die Sintflut verpasst und jetzt einiges nachzuholen.

Sie schnitt eine Kurve, bog scharf nach rechts ab und rannte bergauf. Das Katzenkopfpflaster war rutschig, der Berg steil, aber die Laternen wurden hier immer weniger und die Dunkelheit und die schmaleren Straßen boten ihr Deckung.

Sie rutschte weg, fing sich wieder und war zehn Meter weiter, bevor sie überhaupt wahrgenommen hatte, dass sie rechts keinen Halt gehabt hatte. Wenn ihr Herz noch schlagen würde, wäre es ihr längst aus der Brust gesprungen unter dem Druck ihres unbarmherzig gesammelten Geistes, der in diesem Zustand fünfzig potentiell lebenswichtige Details während eines Wimpernschlags registrierte. Es hätte den Dienst quittiert im Angesicht des absoluten Willens zu laufen, der statt Vitae jede einzelne ihrer Adern bis hin zu den kleinsten Kapillargefäßen füllte.

Ihr Gewahrsein, ihre Konzentration war so groß, dass sie den kompletten bewussten Teil ihres Geistes, ohne es zu merken, schlicht rausgeschmissen hatte.
Sie dachte nicht. Sie lief, sie rannte, schneller, als es möglich hätte sein sollen, weiter, als sie in diesem Stadtteil je unterwegs gewesen war, und es war ihr egal, alles war egal, bis auf den nächsten Schritt auf dem nassen Pflaster, die lückenlose Deckung beim Sprung durch die Schatten, das stete Lauschen auf das halb gefürchtete, halb ersehnte Geräusch der Schritte ihres Verfolgers.
Ein Eindruck bahnte sich seinen Weg durch die Barrieren ihrer Konzentration. Nässe am linken Fuß, das Gefühl beim Auftreten war anders … Unwillig gab sie einen Teil ihrer Sammlung auf und keuchte, als die zuvor unterdrückten Schmerzen plötzlich wieder zuschlugen. Sie biss sich auf die Lippe und schrie trotzdem fast auf, als sie sich vom Boden abstieß, um ein geparktes Auto zu überspringen. Links.

Links tat weh. Sie wusste, was passiert war, bevor sie hinsah.

Das Stiefelleder hing in Fetzen, tiefe Schnitte in der Sohle, und neben dem Fuß darin sah Freddy Krugers Gesicht direkt intakt aus.  Bei jedem Schritt schmatzte eine der tieferen Wunden ihre Bestätigung.

Ihre Konzentration verabschiedete sich völlig. Die Welt drehte sich und schwankte; sie versuchte einen Fluch zu murmeln und bemerkte, dass sie sich vor Schmerz fast bis zur halben Länge ihrer Schneidezähne in die eigene Unterlippe verbissen hatte.

Sie sog an der Wunde, schluckte Vitae – hirnrissig, aber ein kurzzeitiger Energiestoß – und schaffte es wie durch ein Wunder, noch einmal den Zustand der Sammlung zu erreichen, in der der Schmerz zumindest unwichtig wurde.  Das nasse Halstuch abnehmen und das Bein notdürftig abbinden war eins, und erledigt, ohne stehenzubleiben, und jetzt bloß noch –

Die Erkenntnis traf sie heftiger als ein Hammerschlag in den Magen. Ihre Beine versagten den Dienst, die Knie knickten ein.

Sie hatte mit traumwandlerischer Sicherheit eine Spur gelegt, der selbst ein nasenloser Caitiff problemlos folgen könnte.

Ihr Vitae. Durch den Regen über die ganze Straße verteilt. Kain wusste, seit wo schon.

Jeder, der auch nur einen rudimentären Geruchssinn besaß,  würde wissen, wo sie war, und dass sie jetzt, erschöpft, verletzt, leichte Beute darstellte.

All die Abkürzungen für nichts. Ihre geheimen Pfade mit Leuchtfarbe für alle markiert.

Was bist du doch gerissen, Mädchen. Und was für eine Ironie, dass dich dein ganzer Stolz, deine verdammte Clanstärke ins Grab bringen wird. Toll gemacht, Mel.

Sie glaubte, Augen links und rechts der Straße funkeln zu sehen. Bringen wir es doch jetzt hinter uns, Leute… ich hab mir Schande gemacht, und ich kann sowieso nicht mehr weiter.

Mel sackte zusammen und schloss die Augen. Der Regen prasselte auf sie herunter, wusch ihr mit einer Art unbeteiligten Zärtlichkeit das Blut aus den Haaren und vom Gesicht, linderte die Schmerzen an ihrer Stirn, dort, wo sich weich Schwellungen abzeichneten und der gezackte Rand einer Platzwunde. Das Kopfsteinpflaster kühlte ihren Rücken und die tiefen Risse, die die Klauen hinterlassen hatten.

Es war unendlich angenehm, so dazuliegen. Eine Henkersmahlzeit an Eindrücken.

Irgendwo über ihr flüsterte Laub.

Sie verzog das Gesicht zu einem schwachen Lächeln, als sie sich die weichen Blätter vorstellte. Grün und zart. Vitae rann ihre Wangen hinunter, ein stetiger Fluss. Von den Mundwinkeln aus über den Hals zu Boden.

“Komm doch.”

Ein heiseres Flüstern, das vom Regen fast übertönt wurde.

“Hier bin ich.” Ihr Mund füllte sich mit ihrem eigenen Blut.

Hinter ihren Lidern sah Mel ihren Verfolger vor sich. Er würde sich diese Situation nicht entgehen lassen wollen, er wäre der Erste hier, sie war sich sicher. Und sie konnte ihn fast schon riechen.

Wo war er? Über ihr in der wispernden Linde? Schlich er noch die Spur entlang oder wartete er schon im nahen Schatten und beobachtete sie?

Das gelbe Licht einer einsamen Straßenlaterne färbte die Blutlache, in der sie lag, schwarz; ihre blasse Haut bernsteinfarben. Ihr zerfetzter Fuß hatte aufgehört zu bluten; die Schnitte klafften wie gierige Mäuler.

Knochenperlmutt schimmerte sanft am Grund des tiefsten, innen am Spann.

Dann trübte eine dünne Haut das Leuchten. Die hungrigen Münder schienen das Warten müde zu sein und nun weniger enthusiastisch zu betteln.

Mel spürte, wie sich in ihr langsam, langsam ein winziges bisschen neue Kraft sammelte. Ein Tropfen nur. Ein leuchtender, warmer Tropfen in ihrer Mitte. Nicht genug, um aufzustehen, nicht einmal genug, um sich zu bewegen, weg vom Katzenkopfpflaster und dem Regen auf ihrem Gesicht. Aber wenn das so weiterging, würde sie dem, der sie fand, vielleicht doch noch eine Überraschung bereiten können – zumindest wehrlos würde sie nicht sein.

Sie lauschte, angespannt, erwartungsvoll, doch die Nacht blieb leer. Jetzt, da ihre Sinne nicht mehr von Todesangst hochgepeitscht waren, sie sich auf eine seltsam abgeklärte Weise damit abgefunden hatte, dass die Jagd hier und jetzt ihr Ende hatte, erkannte sie, dass sie allein war.

Der Tropfen Kraft schwoll unmerklich an.

Die Ränder ihrer Kopfwunde krochen aufeinander zu. Die Schnitte wurden langsam flacher. Dünne Fäden bildeten sich dort, wo Sehnen zertrennt worden waren.

Die Stücke ihrer zerbissenen Lippe fanden sich wieder zusammen; das Blut sickerte nur noch tropfenweise ihre Wangen entlang, in den vitaestarrenden Pelz an ihrem Hals. Es erreichte nicht einmal mehr die Straße.

Mel öffnete die Augen, setzte sich auf.

Ich warte, Mar. Komm.

Hier bin ich. Am Ende der Fährte.

Am Ende – der Fährte –

Sie sprang auf. Eine Erinnerung schoss ihr durch den Kopf.

Die weißrussischen Wälder; tagelang war sie auf der Jagd nach dem Hirsch gewesen, tagelang hatte sie diese eine Spur verfolgt. War ihrem Opfer näher und näher gekommen, sie hatte es gewusst, die Spur war immer frischer geworden und sie selbst – alle Sinne angespannt – immer feinfühliger, immer zielbewusster; sie war irgendwann nur noch bis ins Unerträgliche gestraffte Bogensehne gewesen und hatte den Augenblick ersehnt, da sie sich endlich selbst als Pfeil ins Ziel schicken konnte.

Sie hatte den Moment des Schusses fast schon schmecken können, als sie das Ende der Fährte erreichte und zutiefst ernüchtert feststellen musste, dass –

Sie wischte sich unsanft über den Mund und begann wieder zu rennen, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Wenn sie Glück hatte, hatter der Regen ihre Spur noch nicht weggewaschen; und die nicht unbeträchtliche Lache unter der Laterne würde ein Übriges tun.

Bei deinem Fleisch, das ich dann irgendwann doch zerrissen habe – ich werde genauso eine falsche Fährte legen wie du.

Das Klatschen ihrer Sohlen auf dem nassen Boden war langsamer als zuvor; ihre Bewegungen vorsichtiger, bedachter.

Doch diesmal lief Mel mit dem siegessicheren Grinsen derjenigen, die weiß, dass sie das Spiel kennt – und in der Hand hat.

Sie huschte die Straße entlang, immer in den Schatten. Sie drückte sich an Hauswände, duckte sich hinter Müllcontainer, legte ein Stück des Weges sogar von Alleebaum zu Alleebaum zurück. Von Zeit zu Zeit lief sie in die Mitte der Straße, biss sich in den Handballen und verteilte ein paar zusätzliche Tropfen auf ihrer alten Spur.

Sie erreichte die Weggabelung, an der sie vorhin bergauf gelaufen war, verschwand im Schatten eines Wandvorsprungs und hielt prüfend die Nase in den Wind.

Niemand in unmittelbarer Nähe. Der Duft ihres Blutes wehte durch die Nacht, nicht zu viel und nicht zu wenig. Der Regen ließ nach und würde wohl bald ganz aufhören.

Sie lief weiter, weg von ihrer alten Spur.

Seltsam eigentlich, dass Mar nirgends aufzufinden war. Sehr seltsam.

Aber ich werde ihn finden, ihn finden und ihm alles mit gleicher Münze heimzahlen, jede Wunde, jeden Schlag, und vor allem, dass ich auf der Baustelle in diese Abfallgrube getreten bin und mir den Fuß zerfetzt hab …

Sie glitt nach rechts in eine kleine Gasse, weiter durch zugemüllte Hinterhöfe und niedrige Durchgänge. Lautlos teilten ihre Hände eine Art Vorhang aus löchrigen Plastiksäcken, der ein gähnendes Loch in einer Mauer bedeckte. Die Maschendrahtabsperrung hinter der behelfsmäßigen Plane hatte schon bessere Tage – ach was, Jahre – gesehen. Mel holte eine kleine Zange aus der Tasche, und ein paar Sekunden später hatte sich eines der Löcher beträchtlich vergrößert.

Sie quetschte sich hindurch und stand in einem feuchten, schwach faulig riechenden Tunnel. Ein leichter Luftzug strich von drinnen über ihr Gesicht, als sie angestrengt ins Dunkel horchte.

Wenn man sie hier erwischte, würde Mar ihr geringstes Problem sein.

Aber da sie schon mal hier drin war, sollte sich das Erwischtwerden wenigstens lohnen, dachte sie, und schritt weiter in die Dunkelheit. Zurück konnte sie nicht mehr, nicht, wenn sie ihre falsche Spur nicht verraten wollte. Sie zuckte heftig zusammen, als ihr etwas von oben in den Nacken tropfte.

Wasser, bloß Wasser – noch. Lieber schnell weiter, so lange sie noch unbemerkt war.

Nach einiger Zeit wurde ihr mulmig. Sehr mulmig. Sie bemühte sich, lautlos und ohne auszurutschen über den nassen und mit einer Art weichem Schlamm bedecken Boden zu gehen; um so schwieriger, da der Gang schon seit längerem bergab führte. Mel wich halb rückwärts gehend jedem Müllsack, jedem gestaltlosen Haufen am Boden möglichst weit aus, versuchte dabei, ihren Rücken so nah wie möglich an der Tunnelwand zu halten. Diesen Eingang hatte sie immer für ein bloßes Gerücht gehalten, eine von Frantos Spinnereien, und dass er existierte, machte ihr Angst. Wenn dieser Teil seiner Hirngespinste wahr war, was war es dann noch gewesen?

Sie versuchte, in alle Richtungen gleichzeitig zu schauen, in der festen Überzeugung, im nächsten Moment wäre das Letzte, das sie für lange Zeit wahrnehmen würde, ein betäubender Gestank und dann der dumpfe Schmerz eines Pflockes. Wenn sie Glück hatte.

Etwas Hartes schlug gegen ihren Rücken. Sie wirbelte herum, die Finger im Bruchteil einer Sekunde zu unterarmlangen Klauen verlängert – und schlug beinahe mit der Nase gegen eine quer verlaufende Eisenstange.

Vor Erleichterung hätte sie fast laut aufgelacht. In die Wand eingelassene Querstreben. Eine Leiter. Und sie führte nach oben, einen gut vier Meter hohen Schacht hinauf. Die Krallen verschwanden, und Mel hing schneller unter der Decke des Schachtes, als sie “Notausgang!” hätte jubeln können. Mit aller Kraft stemmte sie das gusseiserne Gitter hoch, das den Durchgang versperrte, und schlüpfte  ins Freie.

Keine Sekunde zu früh. Wenn sie sich nicht sehr irrte, hatte es unter ihr, im Tunnel, gerade wütend zu flüstern und zu tapsen begonnen.

Sie stand auf einer Terrasse aus rissigem, altem Beton, im ersten oder zweiten Stock eines verfallenen Hauses. Einige Meter weiter begrenzte eine Backsteinmauer ein Stück unbebautes Land. Baumkronen hinderten sie daran, dort Genaueres zu erkennen – ein Park oder ein Friedhof.

Perfekt.

Mit einem Satz stand sie auf dem Wall aus Ziegeln, mit einem zweiten landete sie an den Wurzeln einer ausladenden Kastanie.

Mel atmete aus Gewohnheit tief und glücklich ein. Das wäre erst mal geschafft.

Etwas störte sie.

Sie atmete noch einmal ein, vorsichtig diesmal. Ein paar Schritte nach vorn, ein erneutes Schnuppern. Die Vermutung wurde zur Gewissheit.

Mar.

Und er war –

Eine klauenbewehrte Hand sauste haarscharf an ihr vorbei, in der Baumkrone über ihr knackte es ein paarmal, dann baumelte plötzlich ein irrsinniges, schwarzlippiges Grinsen verkehrt herum vor ihrer Nase.

„Meličko.“ Mar hing kopfüber von einem Ast, den er mit den Beinen umklammerte, und starrte ihr in die Augen.

„Wie sagte der Igel so schön zum Hasen? Ich bin schon da!“  Seine breite Wolfsnase kräuselte sich vor Lachen, als er den Ast losließ, sich im Sturz drehte und direkt vor ihr auf den Füßen landete.

„So, und jetzt renn weiter, Kleine. Meličko! Nächste Runde!“

„Nenn mich nicht so – Marek!“ Die Gerade saß; Mar taumelte ein paar Schritte rückwärts und rieb sich das Kinn.

„Ach, ist es dir auf deutsch lieber? ‚Melissachen‘,  ja?“

Sie duckte sich in letzter Sekunde und wich einem Klauenhieb aus, gegen den ihr aufgerissener Rücken vorhin ein Witz gewesen wäre, hätte er getroffen.

„Gewöhn es dir endlich ab! Me-la-ni-ja, das und nichts anderes!“ Ihre eigenen Klauen zischten viermal durch die Luft, einmal für jede Silbe. Sie knirschte vor Wut mit den Zähnen, weil er den ersten drei Schlägen mühelos auswich. Dem letzten entkam er nur knapp, mit einem ungelenken Hüpfer nach hinten, der ihn fast den Boden unter den Füßen verlieren ließ. Mel zog die Krallen ein und sprang auf ihn zu. Sie prallte gegen ihn, ein Knie voraus, traf ihn im Magen und warf ihn zu Boden. Bevor er wusste, wie ihm geschah, drückte ihm ihre rechte Hand die Kehle zu, die linke packte seinen Arm. Es krachte, als sie seinen Ellbogen in eine Richtung durchbog, für die er nicht gemacht war.

Mar gab keinen Laut von sich. Sein Blick flackerte, die Wolfsnase zuckte ein paarmal und kräuselte sich noch weiter.  Mel bemerkte, dass er immer noch grinste, aber … anders. Hinterhältiger.

„Gut gemacht, Meličko“, würgte er. „Echt gut. Aber das war nur der eine.“

Noch während sie sich fragte, was er damit meinte, packte er sie mit der anderen Hand am Bauch und verkrallte seine Finger in ihrem Fleisch. Dann schoss ein wahnsinniger Schmerz durch ihren Torso, und die Welt war plötzlich in Rot getaucht.

„Mar, du verdammter … !“ Mel brüllte vor Zorn, die fast unterarmlangen Klauen waren sofort wieder ausgefahren. Mit aller Kraft warf sie sich gegen die Hand, deren Krallen sie aufgespießt hatten, und drosch mit rasender Wut auf Mar ein. Ihre Hiebe rissen ihm Gesicht und Brust auf; er zog die Krallen ein und stieß sie heftig von sich. Sie stolperte nach hinten und krachte zu Boden, aber kaum war er aufgestanden, war sie schon wieder da, ein fauchendes, blutrünstiges Bündel Zähne und Klauen, dessen rot pulsierende Welt auf ein einziges gnadenlos verfolgtes Ziel zusammengeschmolzen war.

Jetzt war es Mar, der rannte, aber vergebens.

Der Köter soll ruhig laufen. Sie ging in die Hocke, sprang ab, verkrallte sich in seinem Rücken und versenkte die Zähne tief im Fleisch vor ihr. Er ging zu Boden, Gesicht voraus, sie bemerkte es gar nicht. Endlich ein Stück dieses Bastards zwischen den Kiefern, endlich! Sie zerrte daran,  warf den Kopf wie verrückt hin und her, der Widerstand der zähen Muskeln befeuerte ihr Wüten noch weiter – dann gab Mars Fleisch ihrem Schütteln und Toben nach und riss. Es knirschte zwischen ihren Zähnen.

Sie spuckte den Klumpen aus und presste ihr halbes Gesicht in das Loch in seiner Schulter. Blut spritzte an ihrem Kopf vorbei zur Seite, als sie sich in ihm vergrub und gierig trank. Sie verschluckte sich, prustete, spuckte und tauchte wieder auf. Würgender Husten schüttelte sie, ihre auf Stecknadelkopfgröße geschrumpfte Welt wurde langsam etwas größer und etwas weniger rot. Die Geräusche kehrten zurück.

Bis über die Augenbrauen rot und triefend nass, mit vitaegetränkter Kleidung hockte sie auf Mars Rücken und hob den Kopf in die Nacht. Der weißglühende Zorn in ihrem Innern verebbte langsam.

Ein Knurren, weit entfernt und sehr leise.

Blanker Hass.

Mar. Irgendwie hatte er es geschafft, die Beine unter dem Körper anzuwinkeln.

Sie spürte noch, wie er sich anspannte, dann krachte der Boden heftig gegen ihre Seite, jemand packte ihren Kopf, riss und drehte, und Mel wurde schwarz vor Augen.

Als sie wieder zu sich kam, saß ihr Kopf so schief auf dem steifen Hals, dass sie fast gerade nach unten sah. Mars funktionsfähige Hand steckte in ihrem Brustkorb, die Klauen mit ihren Rippen verkantet, und er schmetterte sie wieder und wieder gegen ein Denkmal. In seinen Augen brannte der reine Wahnsinn.

Der Nachthimmel wurde im Osten bereits heller. Eine Stunde noch, eineinhalb höchstens …

„Mar! Mar, bitte!“ Ihre Stimme hörte sich merkwürdig an. Zu tief und irgendwie klanglos.

Er machte weiter, das Gesicht zu einer irren Version des Grinsens von vorher verkantet.

„Mar!“ Nackte Angst machte sich in ihr breit. So heftig war es noch nie gewesen.

Diese Runde würde sie nicht überleben. Franto hatte es ihr am Anfang schon gesagt, obwohl sie ihm weder etwas erzählt hatte noch ihre Verletzungen gezeigt.

„Ich will nur sagen – ich weiß, dass du mir nix glaubst, aber wenn du tot bist, ich habs dir gesagt.“ So hattte er es ausgedrückt und dann weiter Kaffee ausgeschenkt.

Franto und seine Hirngespinste, hatte sie damals gedacht. Ich hab gestern gewonnen und das wird sich so schnell nicht ändern.

Franto und seine Hirngespinste, dachte sie auch jetzt. Zwei sind heute schon wahrgeworden.

Sie verdrehte die Augen, um den Mond sehen zu können.

Wenn ich schon sterbe, dann will ich das dabei sehen, was ich geliebt hab. Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann, dass du recht hattest.

Ihr Blick fiel auf Mars breite, schnauzenartige Nase, wanderte weiter zu dem zottigen, graubraunen Fell an seinen Unterarmen, den permanent gebeugten und leicht nach außen gedrehten scheinbaren Knien – sie wusste, das waren seine Fersen. Von der Hüfte abwärts war er ein aufrecht gehender Wolf, der auf den Zehenballen lief.

Ihre Gedanken wurden wirr. Ein Bild schoss ihr durch den Kopf. Franto, über ein Zoologiebuch gebeugt, er zeigte auf eine kleinere Überschrift unter dem Thema „Rangordnung bei Caniden“.

„Guck mal. Ich hab da so ne Theorie.“ Er winkte ihr. „Also ein paar von euch … hier steht, diese Demutshaltung wird von unterlegenen Wildhunden eingenommen und der andere Hund reagiert instinktiv. Ob ihr wohl auch..?“

Einen Versuch war es wert. Schließlich hatte Mars Tier die Kontrolle übernommen.

Langsam hob sie die Hand, schaffte es trotz der heftigen Stöße gegen Clara Zetkins gusseisernen Rücken, ihr zerlöchertes Sweatshirt vorn aufzureißen.

So gut sie konnte, legte sie den Kopf in den Nacken, bot ihre Kehle offen dar, obwohl alles in ihr vor Angst, den letzten Rest Deckung aufzugeben, raste. Sie streckte die ungeschützte Brust nach vorn und begann, leise und mitleiderregend zu wimmern. Es blieb unbemerkt.

Sie war angewidert von sich selbst. Anstatt ihrem endgültigen Tod ins Auge zu sehen und sich in ihr Schicksal zu ergeben, erniedrigte sie sich dermaßen? Und es hatte noch nicht mal irgendeine –

Claras eiserne Rückseite krachte nicht mehr gegen ihre.

Mar hielt sie am ausgestreckten Arm von sich weg und sah sie argwöhnisch an.

Seine Augen huschten von links nach rechts. Er legte den Kopf schief und hob sie ein Stück hoch.

Mel bemühte sich, ihre plötzliche wilde Hoffnung nicht nach außen dringen zu lassen. Sie winselte weiter, noch erbärmlicher.

Seine Fänge gruben sich in ihren Hals. Das Schlüsselbein knirschte unter seinem Biss – doch es brach nicht, obwohl das nur wenig mehr Druck erfordert hätte.

Er brachte sie nicht endgültig um.

Er trank. Lange.

Die Klauen zogen sich aus ihrem Brustkorb zurück . Er hob den Kopf, die Augen wieder klar.

„Zeit für mich, zu gehen. Bis irgendwann.“

Sie landete unsanft auf dem Boden, bemerkte erst jetzt, dass ihr linkes Knie Knochenbrei zu sein schien.

„Irgendwann – “ keuchte sie, „irgendwann mach ich das nicht mehr mit.“

Er lächelte traurig,die gelben Zähne hoben sich scharf von seinem schwarzen Zahnfleisch ab.

„Nícht? Tz tz tz. Das glaubt doch keiner von uns. Irgendwann bring ich meine Meliška um, oder sie mich.Vorher werden wir doch beide nicht damit aufhören.“

Sie wusste, dass er recht hatte. Und wollte es nicht wissen.

„Warum auf einmal Meliška? Ich dachte, ich bin Melička, die Kleine?“

„Nicht mehr.“ Er rieb sich die Schulter, die sie zerbissen hatte. „Oh Gott, definitiv nicht mehr. Schon lange.“

Sie deutete hinter ihn, auf den östlichen Himmel.

„Spät. Geh.“ Der Stolz, der in ihr aufflammte, als sie seinen immer noch nicht nutzbaren, gebrochenen Arm an der zerfleischten Schulter hin- und herpendeln sah, wurde nur noch von ihrer Freude darüber, endlich ernstgenommen zu werden, übertroffen.

Sie schüttelte sich, spuckte aus. „Wir sind doch krank, Mar, das ist abartig. Warum machen wir das?“

Ja, Mar, warum kämpfen wir alle jede Nacht um unsere Leben, und du und ich versuchen trotzdem nie, den anderen auszuschalten, um endlich sicher zu sein? Wenn der andere zu lange keinen Mordversuch startet, dann spüren wir ihn auf und fallen ihn an oder versuchen ihn zu provozieren. Weißt du noch, wie das Ganze angefangen hat? Wir können uns beide an jede einzelne Runde erinnern, aber wenn wir ehrlich sind, will doch keiner von uns wissen,  warum wir nie den Schlussstrich ziehen, oder warum wir so süchtig danach sind, ausgerechnet uns gegenseitig zu zerlegen.

„Wollen wir sterben? Das könnten wir nämlich echt billiger und schneller haben. Ich zumindest, ich müsste bloß irgendeinen Kanaldeckel aufmachen, runterspringen und warten, bis die Nosferatu mich erkennen. Dürfte so an die zwanzig Sekunden dauern.“

Er lachte schnaubend. „Immer noch wegen Gizmo? Mein Gott, das war echt Pech.“

„Du bist nicht ganz unschuldig daran, dass ich ihn auf dem falschen Fuß erwischt habe.“

Jetzt lachte er nicht mehr. „Stimmt irgendwie. Schließlich hast du ihn wegen mir als lebenden Schild benutzt. Aber ‚auf dem falschen Fuß erwischt‘ … irgendwie glaube ich, dass da der andere auch nicht der richtige gewesen wäre. Mein Gott – du bist wahrscheinlich die einzige Person auf der Welt, die das so nennen würde. Er hat ein Bein verloren, und einen ziemlich großen Brocken aus der Hüfte.“

„Wie gesagt, Mar – woher hätte ich wissen sollen, dass du es ihm abfetzt und ausgerechnet der arme Gizmo das Problem hat, dass keine seiner Wunden je wieder heilen wird? Und es deshalb nicht nachwächst?“ Wider Willen kicherte sie, und Mar lachte sein heiseres Wolfsgelächter. „Was für ein übler Fehlgriff der Kleine war! Ausgerechnet den Liebling vom Obermufti und einen seiner besten Kundschafter berufsunfähig zu machen!“

„Wenn ich nicht dabeigewesen wäre, würde ich glauben, irgendwer hätte das erfunden. Oder eingefädelt, um dich aus dem Weg zu räumen.“

Sie sah ihn scharf an. „Keine dritte Partei zum eigenen Vorteil einspannen. Du weißt das.“

Er nickte ernst. „Das gehört zum Pakt. Ich weiß das. Und ich werde nicht derjenige sein, der ihn bricht. Wir haben geschworen, und ich halte mein Wort.“

„Impliziert das, dass ich es nicht tun würde?“ Mel kannte dieses Spielchen nur zu gut, das Ritual am Ende jedes ihrer Treffen. Irgendeinen Grund fand man immer. Sie sprach weiter, wusste, dass jedes Wort, jede Veränderung im Tonfall schon von vornherein als aufgesetzt erkannt war und schämte sich vor sich selbst. „Willst du mich beleidigen? Hältst du mich für eidbrüchig? Dann fordere ich …“

„… Satisfaktion, und ich gewähre sie. Wann und wo ich will.“ Mar streckte eine Hand aus, Mel schlug mit vagem Ekel ein.

Er drehte sich um und ging. „Ich finde dich, Meliško, du Hauskatze. Und die nächste Runde geht auch an mich.“

„Das glaubst du!“, schrie sie ihm hinterher. „Ich reiß dich in Stücke, bevor du meine Spur auch nur ansatzweise erschnüffelt hast, Drecksköter!“

Sie sah ihm nach. Der letzte Satz hing schwer und unangenehm in der Luft, und sie hätte ihn gern zurückgenommen.

Es war inzwischen nur zu wahrscheinlich geworden, dass die nächste Runde tatsächlich mit einem Haufen Asche enden würde.

Angst presste ihr Herz zusammen wie eine riesige Faust.

Mit diesem Knie, diesen Wunden würde sie es nie nach Hause schaffen. Und die Sonne würde bald aufgehen.

Sie starrte zitternd zum Horizont. Sie hatte nur eine einzige Möglichkeit.

Ihre Hand grub sich durch den Inhalt ihrer Jackentaschen, fand das kleine schwarze Klapphandy. Sie schnippte es auf.

Es war so glitschig vor Vitae, dass es ihr zweimal aus der Hand rutschte. Sie wischte ihre Hand und den Handybildschirm an ihrer Hose ab und drückte auf einen Knopf.

Bitte, bitte, bitte. Funktionier! Und bitte, oh, bitte, sei da und fähig zu kommen!

Durch die Blutschlieren leuchtete das Display auf. Kurzwahlnummer drei. Ein kurzer Moment der Verzweiflung – es geht nicht, ich komm hier nicht weg, Kain, hilf mir – dann das Freizeichen und Frantos Stimme.

„Mel? Was ist? Bist du nicht zuhause?“

Erleichterung und abgrundtiefe Scham überfluteten sie gleichermaßen. Sie wollte nicht, dass er sie so sah, wollte nicht, dass er wusste, was schon wieder passiert war – und wusste, dass es ihm bereits klar war.

„Wie gehts dir? Hast du Zeit?“

„Mel, es ist – “

„Ich weiß, es ist kein Zeitpunkt dafür, aber ich brauch dringend Hilfe. Ich bin im Zetkin-Park und schaff es nicht nach Hause. Kannst du mich aufsammeln? Bitte! Kannst bei mir bleiben, den Tag über, ich hab auch noch was da!“

Stille.

„Ja, es war Mar, ja, ich hab ihn wieder getroffen, ich gebs zu, es tut mir leid, aber ich konnte nichts dafür…“

Er seufzte. „Sag mir einfach, wo du bist. Ich will das alles gar nicht wissen.“

„Claras Denkmal, das große. Danke, Franto, vielen Dank!“

Er legte auf.

Eine Viertelstunde später – sie hatte panisch abwechselnd ihre Uhr und den Horizont angestarrt – raschelte es in den Büschen, und Frantos roter Schopf tauchte zwischen den Blättern auf. Mel fand, sie habe noch nie etwas Schöneres gesehen.

„Na komm! Schnell!“ Er winkte sie hektisch heran.

„Kann nicht.“ Sie deutete auf ihr Knie. „Das ist Mus.“

Er stöhnte und kam näher.

Im Gehen fiel ihm der Kiefer herunter; die letzten Meter rannte er.

„Bei Crazy Jane und allen Irrenhäusern, was ist denn mit dir passiert?! Und wieso hältst du den Kopf so komisch, das muss doch unbequem … Oh.“

„Genau. Darum. Falsch zusammengewachsen. Hilfst du mir hoch?“

Sie stützte sich auf den schlaksigen jungen Mann, der sie mit erstaunlicher Kraft durch das Unterholz schleifte.

Die Straße war menschenleer, zum Glück. Sie machte in Gedanken drei Kreuze, während Franto die hintere Tür seines Wagens aufriss und sie hineinschubste.

„Zumachen kannst du das selber!“, rief er, während er außen um das Auto herumrannte. Beim Öffnen lief er fast gegen die Fahrertür, im Auto fuhrwerkte er mit seinen langen Gliedmaßen wild durch die Gegend, während er fast gleichzeitig den Motor startete, seine Tür mit einem Knall zuzog, anfuhr und Mel ohrfeigte. Sie konnte gerade noch rechtzeitig am Türgriff ziehen, um die Tür zu schließen, aber die Ohrfeige kassierte sie vor Verblüffung ohne Gegenwehr.

„Das nächste Mal verreck von mir aus!“, grummelte Franto. „Blutest mir die Sitze voll und ich darf die nächste Woche deine Schichten mit übernehmen und nach dir gucken kommen. Kennen wir ja alles schon. Und das alles bloß, weil du ein verdammter schmerzgeiler Junkie bist. Ich komm nie wieder und hol dich wo raus.“

Hinter den schwarz getönten Scheiben fühlte Mel sich fast sofort sicherer. Franto raste durch die Stadt, als wolle er die letzte Möglichkeit dazu auskosten, bevor morgen das physikalische Phänomen der Beschleunigung abgeschafft werden würde. Sie lehnte den Kopf ans Fenster.

„Danke, Franto“, murmelte sie.

„Danke, danke, danke, was für eine gequirlte Kacke. Weißt du, womit du dich bedanken könntest? Indem du deinen Killerstecher endlich zu Papa Kain in die tiefste Hölle schickst. Kannst mir ne Prise Asche mitbringen, das wär mal ein Dankeschön, mit dem ich was anfangen könnte.  Komm raus, wir sind da.“

Er zerrte sie vom Sitz, die Treppen hoch, klaubte den Wohnungsschlüssel aus ihrer Jacke und schubste sie hinein. Die Tür zuknallen, absperren, die mit Teichfolie abgeklebten Fenster überprüfen und zwei Konserven aus dem Kühlschrank schnappen – auch das passierte scheinbar alles gleichzeitig.

Er warf ihr eine Konserve an den Kopf, ließ sich auf ihr Bett fallen und schlürfte den anderen Plastikbeutel in zwei Zügen halbleer.

„Da. Trinken, und wenn es aus deinem Sieb von Bauch wieder auf den Boden klatscht. Ist mir egal. Aber deinen Ausraster morgen früh, wenn dus nicht tust, den will ich nicht erleben. Crazy Jane, hilf – dein Rumpf ist voller Löcher. Knie zerbröselt, Fuß zersägt, Genick verdreht und wahrscheinlich nur noch die halbe Menge Rippen ganz, und das ist erst der Anfang. Und mich nennen sie verrückt.“

Mel wankte ins Bad und legte sich in die Wanne.

„Was machste da, Mel?“

„Ich schlaf hier. Ist morgen leichter wegzuputzen.“

„Oh, ein Profi. Wie schön, wenn man sich auskennt. Melja?“

Sie drehte verwundert den Kopf, so gut sie konnte; so nannte er sie nur, wenn es wirklich ernst war.

„Franto?“

„Ich komm nicht auf dein Begräbnis, du blödes Miststück. Aber wenn er dich umbringt, dann bestech ich die Giovanni, bis sie dich wieder holen. Und dann kauf ich Baum-aus-Menschen-Bill für Mar.“

„Baum-aus-Menschen..?“

„-Bill. Sag bloß, du hast nich nie von ihm gehört. Kleine Gedächtnisstütze´gefällig? Schnitzeljagd. Mit echten Organen. Das ist dieser Typ, den die Sabbatis im alten Bunker an die Wand gekettet haben und nur rauslassen, wenn sie wirklich Schaden arichten wollen. Der ist sogar denen zu abartig.“

„Natürlich hab ich von ihm gehört, aber Baum gibts doch gar nicht. Der ist ein demoralisierendes Gerücht, mehr nicht.“

„Ja, das hast du auch von den Pharaonenraupen geglaubt, dass es sie nicht gibt. Und von dem Nosferatu-Tunnelsystem, und dem Eingang im Hinterhof in Connewitz. Und von der Theorie, dass die Gehirne der Leute vor dem Laden alle seit dem ersten Cappuccino aus unserer Kaffeemaschine per mit dem Kaffee verschluckten Chip mit ihr verdrahtet sind und die Maschine so ihre Belohnungszentren aktiviert, sobald sie bei uns wieder Kaffee kaufen. Und davon, dass dein Ruhrpole dich nochmal umbringt.“

„Mar ist kein Ruhrpole, und das ist doch alles…“

„Mir nicht glauben, aber den Tunnel benutzen, hm? Wo bist du denn durchgegangen heute, wenn ich mir den bloß ausgedacht hab? Ja, jetzt guckst du. Und du glaubst mir immer noch nicht, dass ich Gedanken lesen kann und in Baums Kopf war. Deswegen weiß ich auch, dass es ihn gibt. Er hat mich eingeladen.“

„Du warst….“

„Ja.“

„Mal angenommen, dass ich diesen Quatsch glaube – wie war es in seinem Kopf?“

„War nur kurz drin. Und nicht weit. Und zum Glück bin ich wieder rausgekommen. Das sind keine Gedanken – das ist eine Gruselgeschichte.“ Franto schüttelte sich. „Hey, wenn ich mir den Tunnel wirklich nur ausgedacht hab, und du heute trotzdem ohne mich drin warst – das würde heißen, dass ich mit meinen Gedanken die Realität verändern kann. Dann könnten wir endlich quitt werden, ich und die Realität. Dass die meine Gedanken manipuliert, weiß ich schon lange, die ändern sich nämlich ständig. Nichts kann ich zu Ende denken, und immer wegen Sachen, die ich sehe. Manchmal ist das direkt frustrierend.“

Mel machte die Badezimmertür zu. „Du machst mich noch verrückt mit deinem Gelaber.“

„Schön! Vielleicht wirst du dann endlich vernünftig!“

Mel legte sich flach auf den Rücken, die Arme neben sich, als würde sie aufgebahrt. Sie war schon fast eingeschlafen, als sie Frantos Stimme wieder hörte.

„Mel?“

„Was denn noch?“

„Weißt du, worauf ich mich freue, morgen?“

„Nein. Worauf?“

„Dir den Kopf wieder einzurichten. Weißt du, wieso? Dann kann ich dir endlich den Hals brechen, das ist genau das, was du verdienst. Guten Tag, du suizidales Katzenvieh.“

Mel lächelte. „Ich hoffe, die Teichfolie hat ein Loch. Dann kann ich deine Asche morgen nacht als Koks an irgendwelche ahnungslosen Ventrueghule verticken und zuschauen, wie alle ausflippen. Das wäre doch bestimmt in deinem Sinne, nicht? Tag, Franto.“

mit freundlicher Genehmigung von Chilimoon

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Der Halbelf und die Erdnußmillionen

26. September 2010

Der Halbelf und die Erdnußmillionen

Mina schnippte gelangweilt eine angeknabberte Erdnuß aus dem Seitenfenster des Autos, während sie an der Zapfsäule auf Bedienung wartete.

Die Erdnuß traf ein winzig kleines Sensorfeld und Konfetti und Luftschlangen wirbelten durch die Gegend, während eine blecherne Stimme ihre zu dem Millionengewinn gratulierte. Verdutzt stieg sie aus dem Wagen und ging mit fragendem Gesichtsausdruck zum Schalter der Tankstelle.

Ihr Stammgastwirttankstellenwart schob ihr mit einem Grinsen die Quittung zu und meinte: „In all den Jahrhunderten hat das noch keiner geschafft und ich hatte das Gewinnspiel auch schon völlig vergessen. Herzlichen Glückwunsch, Mina.“ Tatsächlich, die Quittung sagte es, auf ihrem Konto waren eine Millionen gutgeschrieben worden. Was sie damit alles anstellen konnte. Ein neues Auto mußte es aufjedenfall sein, der alte Wagen war schon sehr in die Jahre gekommen und just in diesem Moment kamen weitere Beulen hinzu, denn hinter der Tankstelle und ein paar Meilen weiter, hatte ein Vulkan beschlossen, etwas Asche und Steine auszuspucken. Sicherheitshalber blieb Mina noch ein kleines Weilchen hinter der Tankstelle und lugte vorsichtig um die Ecke. Imposante Wolken quollen in Grau- und Orangetönen dem Himmel entgegen, in eleganten Bögen und mit welligen rauchigen Schweifen flogen Felsen und kleine Kieselsteine in allen Richtungen davon. Einige davon trafen auch den alten Wagen von Mina, die beschloß ein längeres Weilchen hinter der Tankstelle zu verweilen.

Während der Vulkan sich noch nicht entschließen konnte, sein Spektakel zu beenden, versuchte Mina ihren Mann zu erreichen. Ihr Handy war aber viel zu abgelenkt und bibberte in ihrer Hosentasche vor sich hin. >> Nagut << dachte Mina >> dann kauf ich uns halt schon mal eine Wohnung und schau dann mit ihm zusammen, was wir mit dem restlichen Geld machen wollen << Gedacht getan, per gedanklicher Spacenet-Verbindung kaufte sie in einem der einzigen beiden Hochhäuser eine schicke Wohnung.

Zu den beiden Hochhäusern war der Weg nicht weit und der Stein- und Geröllhagel hatte so stark nachgelassen, daß sich Mina zu Fuß auf den Weg machte, ihre Wohnung auch zu besichtigen. Leider hatte sie sich gar nicht gemerkt in welchen der beiden Hochhäuser sich die Wohnung befand, also ging sie zuerst zu dem hinteren Hochhaus. Es gab in diesem Gebäude auch einen wunderschöner Fahrstuhl, die Wände schienen aus graublauen auf hochglanzpolierten Marmor zu bestehen und ein messingfarbenes Geländer lud zum Festhalten ein.

Während Mina sich unschlüssig die Schalttafel anschaute, denn sie wußte auch nicht, in welcher Etage sich ihre schicke neue Wohnung befinden sollte, stürmten ein paar wildaussehende Menschen und noch wilder aussehende Wölfe in den Fahrstuhl. „Nun drück schon die 263.“ Knurrte einer der Menschen und die Wölfe stimmten ein schaurigschönes Geheul an, dessen Echo eindrucksvoll das Treppenhaus füllte. Ein anderer Mensch schnüffelte an ihr und die Wölfe ließen ihre Augen gelb aufleuchten.

Etwas furchtsam aber auch neugierig drückte sich Mina in eine Ecke. „Keine Sorge, wir jagen einen Vampir und Du bist ja nur ein Halbelf.“ „Ich bin ein Halbelf? Das wußte ich ja noch gar nicht.“ Etwas zutraulicher wagte sich Mina wieder aus der Ecke heraus. Der Fahrstuhl hatte mittlerweile die entsprechende Etage erreicht und die wilde Werwolfbande stürmte aus der wunderschönen Fahrstuhlkabine heraus. Zögerlich wagte auch Mina einen Schritt aus der Fahrstuhlkabine heraus, aber eigentlich wollte sie lieber drinnen bleiben, es war einfach zu schön da. „Kindchen, Du bist im falschen Haus.“ Eine grellgeschminkte Frau im Einheitsmaklerkostüm eilte geschäftig um die Ecke, „Du mußt in das andere Haus und da auf die Etage G.“ Ihre Brille rutschte gefährlich nah an die Nasenspitze heran, deren Bügel sich drauf gefaßt machte, sich feste in das goldene Kettchen zu krallen. „Oh.. oh.. Danke.“ Minas Wangen wurden zartrot und ihre Ohrspitzen beschlossen, nach der Offenbarung der Werwölfe, etwas spitzer zuzulaufen.

Der Fahrstuhl sauste in atemberaubender Geschwindigkeit runter in das Erdgeschoss, nun mußte Mina sich doch vom Fahrstuhl verabschieden und während sie ging, meinte sie noch ein langezogenes Jaulen zu hören. Im anderen Gebäude angekommen gab es ebenfalls einen Fahrstuhl, kuscheliger roter Samt mit seidenen rosa Herzen betörten die Schuhe seiner Fahrgäste und spiegelnde bronzefarbene Wände deckte jede Hautunreinheit gnadenlos auf. Aber die Musik war gut und so vertraute sich Mina diesem Fahrstuhl ebenso an, wie dem anderen. Noch kurz lauschte sie ins Treppenhaus, bevor ihr Zeigefinger auf das G drückte. Endlich hatte sie ihre neue Wohnung gefunden und endlich hatte sie es geschafft ihrem Mann eine SMS zuzusenden.

Nun konnten sie gemeinsam ein neues Auto kaufen und damit glücklich zur nächsten Tankstelle fahren…

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Blue Custer I

9. Oktober 2009

Die Geschichte von Blue Custer

Etwas verloren stand sie am Gepäckband der Flugankunftshalle im John-F.-Kennedy-Airport. Endlich kam ihr etwas schäbig aussehender Koffer herangefahren. Hier war sie nun, Amerika, New York City. Die größte Stadt, die sie bisher sah, war Aberdeen gewesen. Aber Aberdeen ist ein Dorf, im Vergleich zur Millionenmetropole New York. Nach dem sie ihren Koffer vom Transportband gepflückt hatte begab sie sich zur Paßkontrolle. Nur kurz wurde sie vom Zollbeamten gemustert und nun war sie wirklich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Von New York aus wollte sie ihre Rundreise starten, die sie von ihren Eltern zum Abschluß ihres Studiums geschenkt bekommen hatte. Schon allein das bunte Treiben des Airports schlug sie in seinen Bann. Die Menschen wuselten scheinbar chaotisch durcheinander und ein ständiges Gemurmel und die freundliche Damenstimme, die die Ansagen für die Fluggäste machte, waren eine Geräuschkulisse, die sie bis dahin nicht kannte. Als sie den Zoll passiert hatte, kam sie auf eine Traube von Menschen zu, die Schilder der verschiedensten Reisegesellschaften oder mit Namen von Ankömmlingen empor hielten. Irgendwo in diesem Schilderwald entdeckte sie das Schild der Reisegesellschaft, bei der sie gebucht hatte. Sie ging auf die Trägerin des Schildes, welche schreiend bunt gekleidet war, zu. „Mein Name ist Blue Custer.“ „Willkommen in Amerika, Herzchen. Der Bus steht auf Platz 26, er hat die Nummer 135. Ausgang Süd.“ Sie lächelte Blue kurz an und hielt dann nach weiteren Touristen Ausschau, die bei der Gesellschaft gebucht hatten. Der Busfahrer nahm ihren Koffer ab und verstaute ihn im Kofferraum des Busses, Blue suchte sich unterdessen im Bus einen Platz und betrachtete die Lichter der Stadt. Der Bus füllte sich und nachdem die Reisebegleiter alle Mitreisenden nochmals erfaßt hatten, fuhr der Bus endlich an. In den kommenden Tagen würde Blue einige Großstädte der amerikanischen Ostküste kennenlernen.
Die Reise ging von New York südwärts nach Philadelphia, die erste Hauptstadt der USA, dann nach Washington der jetzigen Hauptstadt der USA über das Apalachengebirge hinweg nach Niagara. Jetzt im September boten die Apalachen ein atemberaubendes Farbenspiel. Die Wälder so bunt, wie nirgends auf der Welt. Blue genoß die Fahrt durch das Gebirge sehr, die großen Städte waren zwar beeindruckend, hatten aber für sie auch was beängstigendes. Der Bus zottelte langsam nordwestlich und nach einigen Stunden erreichte er dann endlich Niagara. Es war mittlerweile Nacht und die Besichtigung der Niagara-Fälle waren für den nächsten Tag vorgesehen.
Gewaltig tosen unglaubliche Wassermassen in die Tiefe. Und irgendwie schienen sie einen mitreißen zu wollen. Fast schon hypnotisch wirkte der Anblick der fallenden Wasser auf die Menschen, die sich an den Geländern festhielten. Der Tag an den Niagara-Fällen war der schönste Tag in ihrem Leben, der letzte schönste Tag in ihrem Leben. Abends fuhr die Reisegruppe weiter nach Toronto. Außer einer kleinen Paßkontrolle merkte man kaum, daß man jetzt nicht mehr in Amerika war, sondern in Kanada. Naja, man bekam als Wechselgeld kanadische Münzen wieder, das war aber auch schon der gravierendste Unterschied. Spät abends erreichte die Reisegruppe dann Toronto und somit auch das Hotel. Nach einem kleinen Snack, zu mehr hatte Blue keinen Hunger, begab sie sich in ihr Zimmer. Auf der einen Seite war sie sehr müde, aber auf der anderen Seite war sie noch richtig aufgekratzt. Der Tag war einfach wunderschön gewesen. Die Sonne, die laue Luft, der Regenbogen über den tosenden Wasserfällen von Niagara, der unendlich weite und blaue Himmel. All diese Eindrücke wirkten noch nach. Schlaflos wälzt sie sich hin und her, selbst in der Nacht schienen der Geräuschpegel der Stadt nicht abzunehmen. Nach einigen Minuten, die Blue wie Stunden vorkamen, stand sie auf. Sie zog sich wieder an und beschloß noch einen Spaziergang zu machen. Außerhalb des Hotels nahm der Lärmpegel nochmals zu. Entfernt drangen die Sirenen von Polizei- oder Rettungsfahrzeugen an Blues Ohr. Der Verkehr schien nur sehr langsam abzuebben und das, obwohl es schon sehr spät war, kurz nach 01:00 Uhr Nachts. Blue achtete nicht darauf, wohin sie ihre Schritte lenkte, sie war, wie so oft wenn sie spazieren ging, am träumen. Irgendwann vernahm sie Stimmen, aggressive Stimmen.

„Los Kleine, rück die Kohle raus. Und wenn Du schon dabei bist, Deinen Schmuck und die Uhr auch gleich.“

Dreckiges Gelächter erklang. Blue spähte vorsichtig um die Ecke in eine Hauseinfahrt hinein. An eine Hauswand gelehnt stand eine Frau, ihre blonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden, sie trug eine enge Jeans, T-Shirt und eine kurze Lederjacke. Ihre Füße steckten in Turnschuhen. Ihr Gesicht war in dem schlechten Licht der Hauseinfahrt fast nicht auszumachen. Vor ihr standen zwei Junge Männer, der eine hielt ein Messer in der rechten Hand, dessen Klinge das Licht der etwas entfernt stehende Straßenlaterne reflektierte. Der andere junge Mann hielt eine Kette in den Händen, die er gefährlich schwingen ließ.

„Und wenn Du uns Deine Kohle gegeben hast und wir gut gelaunt sind, dann darfst Du uns noch einen blasen. He he he.“

Als Blue das hörte zuckte sie kurz zusammen und trat dann entschlossen in die Hauseinfahrt ein. Sie war eigentlich nicht besonders mutig, aber wenn sie etwas haßte, dann waren es solche Art von Verbrechen.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sprach Blue die Frau an. Die beiden jungen Männer ruckten zeitgleich zu Blue herum. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der rechte Fuß der blonde Frau flog hoch und trat dem einen jungen Mann das Messer aus der Hand. Offensichtlich verlor er nicht nur das Messer, sondern seine Hand brach auch noch bei dem Aufprall der Fußspitze gegen seine Hand. Er jaulte auf. Die Frau schien förmlich zu explodieren. Während der Messerträger wimmerte:

„Meine Hand, Du verschissene Hure…. Meine Hand…. Du Miststück.“,

stürzte sie sich auf den anderen. Sie schien die Schläge mit der Kette völlig zu ignorieren und als er ein weiteres Mal ausholte um sie damit zu schlagen, da faßte sie seinen Kopf mit beiden Händen, ruckte kurz und er viel leblos zu Boden. Blue war wie gelähmt. Beobachtete das Geschehen mit Grauen aber auch mit Faszination. Die blonde Frau schien sie völlig zu ignorieren, sie packte den Messerträger am Schopf, der sich wegen seiner gebrochenen Hand nur schwach wehrte.

„Arghhh… Du Fotze, laß mich los….. .“

Sie riß seinen Kopf nach hinten und Blue sah, zwei etwas zu lang geratene Eckzähne, die sich in den Hals des jungen Kriminellen bohrten. Schlagartig verstummte der junge Mann, er gab eher ein ekstatisches Stöhnen von sich, welches den Eindruckt erweckte, daß er es genoß, ausgesaugt zu werden. Die plötzliche Ruhe ließ Blue aus ihrer Starre erwachen. Sie wich langsam zurück zur Straße und als sie diese erreichte, fing sie an zu laufen. Sie wußte nicht wohin, Hauptsache weg, weg von dem Geschehen, weg von dem Grauen.

Unterdessen war Rebecca Swanson fertig mit ihrem grausigen Mahl beendet. Sie hat den jungen Mann einfach ausgesaugt, leergetrunken. In der Nähre stand ein Müllcontainer. Mühelos hob sie den Leichnam auf, warf ihn in den Container und den anderen Leichnam gleich dazu. Blut von Toten schmeckte nicht so gut, auch wenn sie gerade frisch verstorben war und Rebecca war nicht so hungrig. Rasch verteilte sie ein paar Müllsäcke über die beiden Leichen, dann mußte sie sich beeilen. Sie mußte dieses dumme Ding finden, mit dem seltsamen Akzent. Was mischte sie sich auch ein. Nun, sie würde sie finden und töten, denn Zeugen konnte sie nicht gebrauchen. Es war leicht der Spur der schwarzhaarigen jungen Frau mit dem seltsamen Akzent zu folgen. Ihr Schweiß hinterließ in der Luft eine deutliche Spur, die nach Angst roch. Rebecca lief los, eher im mäßigen Tempo, als würde sie joggen. Sie holte Blue in einem Park ein, die sich dort auf eine Bank gekauert hatte. In der Umgebung des Parks fühlte sich Blue sichere, sicherer als mitten zwischen Häusern und den Straßenschluchten. Sicher wie zu Hause. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und Finger drückten ihr tief ins Fleisch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht drehte sie ihren Kopf und sah Rebecca geradewegs in die Augen.

„Ich werde Dich töten…..“

Blues Augen füllten sich mit Tränen, sie zitterte am ganzen Körper. Der Blick von Rebecca war kalt, einfach nur kalt. Mit der anderen Hand faßte sie Blue in ihr Haar und bog ihren Kopf zur Seite weg, so daß ihr weißer Hals entblößt vor ihr lag. Sie beugte sich zu ihr herunter. Blue kniff die Augen zu und wartete auf den Schmerz, aber nichts geschah. Rebecca lockerte den Griff in Blues Haaren.

„Nein, ich habe es mir anders überlegt. Du wirst mir dienen.“

„Ich… werde … was?“

„Mir dienen, ich brauche jemanden, für die Tage.“

„Nein, niemals…. wie könnte ich einem so abscheulichen Wesen, wie Ihnen dienen?“

Rebecca ignorierte Blues Worte, führte ihr eigenes Handgelenk an ihren Mund und biß sich selber in die Schlagader am Handgelenk. Dunkel quoll das Blut aus der Wunde heraus. Sie hielt ihr Handgelenk vor Blues Gesicht.

„Los, trink das.“

Zischte sie. Blue preßte ihre Lippen fest aufeinander und drehte den Kopf weg. Der Druck auf ihre Schulter erhöhte sich und die Finger von Rebecca bohrten sich noch tiefer in Blues Fleisch.

„Nun mach schon.“

Blue gab dem Druck nach und öffnete widerwillig ihre Lippen. Dunkelrote Tropfen vielen auf ihre Lippen, ihre Zunge und in ihren Mund. Süßer und metallischer Geschmack füllten ihn aus. Ein Würgereiz veranlaßte sie dazu, das Blut auszuspucken. Rebecca löste kurz ihre Hand von Blues Schulter und schlug ihr hart ins Gesicht.

„Schluck das jetzt, ich habe nicht ewig Geduld.“

Wieder hielt sie Blue ihr Handgelenk hin und wieder tropfte Blut in Blues Mund. Diesmal spuckte Blue das Blut nicht aus und schluckte es herunter. Sie spürte wie das Blut langsam fast zäh ihre Speiseröhre herunter kroch. Der Geschmack, der den Würgereiz in ihr auslöste kam ihr nun süß und unglaublich wohlschmeckend vor. Wo sie sich zuerst noch geweigert hatte, da wollte sie es nun plötzlich selber. Sie ergriff Rebeccas Arm und ihre Lippen schlossen sich um die Wunde. Sie fing an das Blut nicht nur abzulecken sondern fast gierig schon zu saugen. Ihr Verstand schrie dagegen in ihrem Kopf. — Nein Blue, was tust Du?? — Aber ihr Körper reagierte nicht auf den Protest, im Gegenteil. Immer mehr wollte sie von dem süßen Blut, dem köstlichsten Getränk was ihr Gaumen je schmecken durfte. Rebecca betrachtete zynisch die Wandlung von Blue. Sie würde ihr eine ergeben Dienerin sein. Sie nahm sich die Zeit Blue genauer zu betrachten. Blue gefiel ihr, äußerlich. Aber ihre Schwäche, die sie vorhin so stark verspürte, die verabscheute sie. Nun, Blue sollte ihr ja nur dienen, sie mußte sie ja nicht lieben. Sie würde sie benützen, wie sie Gegenstände benützte.

„Genug jetzt. Du hast genug getrunken.“

„Noch einen Schluck, bitte.. .“

Aber Rebecca zog den Arm einfach weg, leckte selber über die Wunde, welche sich unverzüglich schloß, als sei sie nie dagewesen. Blue beobachtete das fasziniert. Angst verspürte sie nicht mehr. Im Gegenteil, auf eigenartige Art und Weise fühlte sie sich zu Rebecca hingezogen und zu gleich auch abgestoßen.

Dies alles geschah vor ca. einem halben Jahr. Seitdem ist Blue untrennbar mit Rebecca verbunden. Blue ist ein Mensch und Blue ist ein Ghul, abhängig vom Blut ihrer Meisterin, Rebecca. Immer nagt der Hunger nach Rebeccas Blut in ihr und wenn er unerträglich wird, dann gestattet ihr Rebecca von ihr zu trinken. Aber manchmal auch nicht. Wenn Rebecca verärgert ist, läßt sie Blue leiden, rein aus Haß. Blue organisiert das alltägliche öffentliche Leben. Behördengänge, Einkäufe und solche Sachen.
Blues Eltern haben eine Suchanzeige aufgegeben, nachdem sie aus ihrem Urlaub nicht zurückkehrte. Und noch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben….

-tbc-

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Blue Custer Teil II (Rollenspielausschnitt)

9. Oktober 2009

Blue Custer II

„Komm her kleine Schlampe und zier Dich nicht so.“ Zischte Rebecca Swanson. Rebecca Swanson ist meine Herrin. In dem Moment als sie mich zwang von ihrem Blut zu trinken, wurde ich ihr Eigentum. „Es wird Zeit, dass Du für Deinen Lebensunterhalt selber sorgst. Siehst Du diesen Mann dort hinten?“ Sie deutete in die hintere Ecke des verräucherten Etablissements. Dort an der Musikbox stand ein scheinbar gelangweilter Mann mittleren Alters. Seiner Kleidung nach zu urteilen könnte er Versicherungsvertreter sein. Betont lässig lehnte er an der Wand und seine Augen suchten nach einem billigen Vergnügen. Er war leicht alkoholisiert und in seiner rechten Hand glimmte eine Zigarette. Rebecca stieß mir unsanft in den Rücken und somit in seine Richtung.
Seit ca. dreieinhalb Wochen war ich nun schon ihr Eigentum. Die ersten paar Tage und Nächte machte ich nichts anderes, als in ihrer Nähe zu verweilen. Bisher sorgte sie für mich, brachte mir Nahrung und auch Kleidung. Wir bewohnten ein kleines heruntergekommenes Apartment in einer ziemlich schäbigen Gegend. Tagsüber ruhte sie in einer totenähnlichen Starre. Ich war mehrfach versucht einfach zu gehen. Aber ich kam nie weiter wie ein paar Blocks, dann schien es so als würde ich an einer unsichtbaren Hundeleine zurückgezogen werden. Die erste Woche, so begriff ich rasch, diente nur dazu, mich an diese Leine zu gewöhnen, mir zu demonstrieren, dass ich nicht entkommen konnte, ich wirklich ihr Eigentum war. In den nächsten zwei Wochen dann wies sie mich in meinen Aufgaben als ihr Renfield ein. Ich weiß, Renfield ist ein antiquierter Ausdruck, aber er erschein mir immer noch irgendwie, nun ja, irgendwie menschlich. Nachdem ich in die allgemeinen Tätigkeiten meines neuen Daseins eingewiesen war, folgte nun einer meiner härtesten Lektionen. Ich sollte zu unserem Unterhalt beitragen und zwar auf die gleiche Art und Weise, wie sie. Ich sollte meinen Körper verkaufen. Sie hatte mich vor meinem „ersten Mal“ genau instruiert. Wie ich mich verhalten solle, wie viel Geld ich verlangen sollte und auch welche „Dienste“ ich anzubieten hatte.
Nun stakste ich etwas unsicher auf den hohen Absätzen der Schuhe und den kurzen Rock nach unten schiebend auf meinen ersten „Kunden“ zu. Meine langen schwarzen Haare hatte ich mit ihrer Hilfe in eine aufregende Mähne verwandelt und mein blutrot geschminkter Mund verhieß den Männern die Sünde pur, nur leider fühlte ich mich nicht so. Mein Zielobjekt machte mir zumindest die Verhandlung leicht, noch bevor ich ihn ansprach fragte er: „Wieviel?“ Scheu murmelte ich eine Summe, er nickte hakte mich unter und führte mich hinaus. Zwei Häuser weiter befand sich ein sogenanntes Stundenhotel und mein Kunde schien hier öfters zu verkehren. Der Rezeptionist schaute nicht einmal von seiner Zeitschrift auf, als er meinem Freier einen Schlüssel in die Hand drückte. Ich folgte meinem Freier stumm die Treppe hinauf, der Handlauf war abgegriffen und der ehemals rote Teppich hatte eine schmutzigbraune Farbe angenommen. Zielsicher steuerte mein Freier auf einer der Türen zu, schloß sie auf und kaum dass ich eintrat, warf er mich aufs Bett. Sein lüsterner Blick nahm nun einen eher grausamen Zug an. Meine Unsicherheit und meine offensichtliche Angst schien ihm nicht nur zugefallen, sondern auch zu erregen. „Los, zieh Dich aus.“ Der Ton seiner Stimme duldete keinen Widerspruch. Zögerlich begann ich mich zu entkleiden, wie versteinert war ich. „Los schneller!“ Ich zuckte zusammen und hastig nestelte ich an dem Verschluß meines BH’s. Schamhaft drehte ich mich um, aber er packte mich grob am Arm und zog mich wieder herum. Sein Blick war gierig und seine Alkoholfahne ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Was nun folgte ist zu ekelhaft, als dass ich es hier beschreiben mag. Nachdem er endlich von mir abließ, rannte ich in das kleine Badezimmer des Zimmers und übergab mich in die dreckige Toilettenschüssel. „Da hatte ja Beccy wirklich nicht zu viel versprochen, Du bist ja tatsächlich eine Frische.“ Er tätschelte dabei meinen Po, als sei ich ein Hund. „Hier haste Dir verdient.“ Mit diesen Worten warf er einige Dollarscheine aufs Bett und ging. Ich setzte mich auf den Boden und umklammerte mit den Armen meine angezogenen Beine. Meine stummen Tränen nässten die Bluse, die ich mir mittlerweile wieder angezogen hatte. Doch irgendwann spürte ich in mir die Sehnsucht, zu Rebecca zurückzukehren. Sie „rief“ nach mir. Ich wollte nicht, ich wollte nicht gehorchen, ich wollte weg… einfach weg. Und so lange es ging hielt ich ihrem Ruf stand. Irgendwann wurde er dann doch zu stark. So stand ich auf und vorsichtig und breitbeinig verließ das Zimmer. Es fühlte sich entsetzlich wund an zwischen meinen Beinen, aber ich wusste, daß es schnell heilen würde. Das war die allererste Lektion gewesen, die ich von Rebecca lernte, die übernatürlich schnelle Heilung. Denn als ich damals versuchte fortzulaufen, brach sie mir einfach den linken Knöchel. Keine zwei Tage später, war der Knochen wieder verheilt. Der Schmerz allerdings war unglaublich gewesen.
Ich hatte mittlerweile das Stundenhotel verlassen und ich spürte fast nichts mehr, von dem, was der Freier mir antat. Der Heilungsprozess war erstaunlich, aber er förderte etwas, was ich gar nicht wollte. Er förderte den Durst. Der Durst nach dem Blut meiner Herrin. Es war demütigend, und doch konnte ich nichts dagegen unternehmen, dass ich nun wieder zu ihr zurückkehren würde, wie ein reumütiger Hund. Mir war mittlerweile schon klar geworden, dass sie diesen Freier arrangiert hatte. Und nun würde ich zu ihr zurückkehren und sie anbetteln aus ihrer Hand fressen zu dürfen. Wieder rollten ein paar Tränen über meine Wangen. Warum nur setzte ich dem nicht ein Ende? Wieso konnte ich es nicht über mich bringen entweder sie, oder mich zu töten?
Ich holte noch einmal tief Luft, dann stieß ich die Tür zu dem Etablissement auf. Da stand sie, höhnisch schaute sie mich an. „Na, hat es Spaß gemacht?“ Es schien ihr wirklich Freude zu machen, so mit mir umzugehen. Und das einzige was ich darauf erwidern konnte war: „Ich habe Durst…. Bitte.. .“ „Jetzt nicht, ich habe zu tun.“ Ich folgte ihrem Blick, sie beobachtete einen Mann. Er trug eine schwarze Jeans und ein rotes Holzfällerhemd. Das Rot seiner Kleidung schien mit dem rot seiner Haare und seines Bartes zu konkurrieren. Ich wusste nicht, was an ihm so besonders war. Und ehrlich gesagt, war es mir auch egal, denn mein Durst wurde immer stärker, er verhielt sich proportional zur Heilung. „Bitte, Rebecca…… – Bitte Herrin, bitte.“ Ich bat immer eindringlicher, der Durst fing schon an weh zu tun. In diesem Moment hätte ich freiwillig alles für sie getan. Wirklich alles, der Durst raubte einem jegliche Selbstachtung. „Nagut, komm mit. Ich kann es jetzt Dein Gebettel nicht gebrauchen.“ Sie zerrte mich mit auf die Damentoilette. Dort ritzte sie mit einem scharfen Messer die Haut an ihrem Handgelenk und die darunter verborgenen Vene auf. Schwarzrot und herrlich süß rann ihr Blut heraus. Gierig leckte ich es ab und saugte mit kräftigen Zügen. Es war einfach köstlich und auch so versöhnlich…. .

Blue Custer

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